Date: Sun, 24 Sep 2017 17:03:10 +0200
Liebe Trollfanatics,
der Arena Verlag in Würzburg hat hart gearbeitet und auf einen Schlag in diesem Spätsommer/Herbst alle vier zum Mumin-Kosmos gehörenden Bilderbücher Tove Janssons neu übersetzt heraus gegeben. Wie geblendet sitze ich vor den brandneuen Schätzen frisch aus der Druckerpresse und möchte sie hier nun für meine Leserschaft rezensieren. Andere Themen verschiebe ich auf den nächsten Rundbrief.
So lautet der neue Titel des ersten Mumin-Bilderbuchs von 1952, das Tove Jansson mit verschieden geformten Löchern plante, durch die sich Blicke auf die folgenden (und zurückliegenden) Seiten erhaschen lassen. Ich bin mit diesem Buch schicksalhaft verquickt, denn es war lange Zeit das einzige Mumin-Buch, das noch nie auf Deutsch erschienen war. So erlernte ich Anfang der 2000er-Jahre die schwedische Sprache, erstellte eine Übersetzung und war schon dabei, sie Verlagen anzubieten, als der »leiv«-Kinderbuchverlag aus Leipzig 2003 eine eigene Version auf den Markt brachte. Diese missfiel mir aufgrund ihrer kunstlosen Reime (vgl. Rundbrief vom Dezember 2003). Nun gut, gekränkte Eitelkeit war auch dabei.
Birgitta Kicherer hat in ihrer neuen Übersetzung für den Arena Verlag einen Weg gefunden, mit dem gereimten Original umzugehen, den ich mal »teilgereimt« nennen möchte. Die Textportionen auf den meisten Seiten beginnen in Prosa, bleiben dabei inhaltlich wohltuend knapp und inhaltstreu, um dann über ein bis mehrere Paarreime zwischendurch auf jeden Fall in einem Reim zu enden. Das alles gelingt der Übersetzerin sehr frisch und lebendig; nur sehr selten unterläuft ihr eine kleine Hinzuerfindung, ferner punktet sie mit Wortschöpfungen (z. B. »Schlurps«), die im jeweiligen Kontext passend sind.
So entsteht eine Umsetzung der Vorlage, die Tove Janssons ursprüngliche Absicht eines Bilderbuchs, in dem Kinder immer auf die nächste Seite neugierig gemacht werden, in einer meiner Ansicht nach gültigen, sehr anregenden Weise.
Als Tove Jansson Ende der 1950er-Jahre den Mumincomic-Boom gerade ziemlich satt hatte, gestaltete sie mit grafischen Mitteln (Farbflächen und Schraffuren) ein Bilderbuch, das nicht den knuddeligen Troll, sondern einen armen kleinen Wicht zum Helden hatte – bei ansonsten identischer Figurenwelt. Auch hier ist das Original gereimt, eine erste deutsche Übersetzung erfolgte im selben Jahr (1960) bei St. Gabriel in Österreich – diese allerdings in ungereimtem, etwas zu ausführlichem Fließtext, was Tove Jansson sehr missfallen haben soll. Die 2009er-Übersetzung bei »leiv« war in Versen, doch so etwas will eben gekonnt sein – in meiner Rezension (vgl. Rundbrief vom Dezember 2009) schäumte ich vor Wut ob des Gebotenen.
Birgitta Kicherer wendet in ihrer neuen Übertragung auch hier das Mischprinzip an und bringt immerhin die letzten beiden Zeilen jeder Seite in gereimter Form. Ich denke, das muss man einen legitimen Ansatz nennen, wenn man alle Schwierigkeiten dabei bedenkt. Der entstandene deutsche Text trifft Inhalt und Stimmung sehr genau und zeugt darüber hinaus von fundierten Kenntnissen seitens der Übersetzerin. Mutig-freiheitsliebend ist sie an anderer Stelle, nämlich bei der Gestaltung der Namen. Die Hauptfigur des Buches, die im schwedischsprachigen Original keinen richtigen Eigennamen hat (»Knyttet« bedeutet in etwa »das Kleinzeug«), heißt nunmehr – nach »Lillan« und »Toffel« – ab sofort »Knütt«, das von ihm gerettete Trollmädchen »Fitzel«. (Das Muministische Lexikon verzeichnet alle Namenswechsel.) Der Titel des Buches wäre mit »Wer soll den Knütt trösten?« originalgetreuer wieder gegeben gewesen, in der jetzigen Form ist eigentlich allzu kinderbuchartig-allgemein tiefgestapelt worden.
... heißt eigentlich auch nur »Die gefährliche Reise« – also ohne gleich zu verraten, wo sie hinführt. Das Original stammt von 1977, lotet in den Illustrationen das Aquarellmäßige aus und ist wiederum gereimt. Bei erwähntem St.-Gabriel-Verlag gab es 1981 eine Prosaübertragung, die nicht lange am Markt war. Somit ist diese Veröffentlichung geradezu echtes Neuland! Nicht nur gestalterisch, sondern auch inhaltlich lohnt das Kennenlernen: Das Menschenkind Susanna gerät unvermittelt in wild-bedrohliche Fantasiewelten, bis sie schließlich im Mumintal landet, von wo aus es zum Glück ein Leichtes ist, wieder heimzukehren.
Ein weiteres Mal wendet Birgitta Kicherer das Mischverfahren »Prosa mit Seitenabschlussreim« an und schafft es auch hier, knapp zu bleiben – teils so knapp, dass man schon Inhalte unterschlagen glaubt; aber dem scheint nicht so zu sein. Der Text trifft durchweg die richtige Stimmung, das einzig Fehlende ist eben der durchgängige Gedichtrhythmus.
Auch das letzte Mumin-Bilderbuch muss nun bis auf Weiteres mit einem nicht ganz originalgetreuen Titel leben – »Der Schurke im Muminhaus« ist die Vorlage betitelt: nun ja, nicht so schlimm. Tove Jansson malte oder zeichnete hier nicht selbst, sondern siedelte ihre Geschichte im mit Freunden gebauten und von Bruder Per Olov Jansson fotografierten Muminhaus-Modell an, das man heute in Tampere im Museum bewundern kann. Da bereits das Original in Prosa war und mit Dorothea Bjelfvenstam eine kundige Übersetzerin zur Verfügung stand, lag dieses Buch bereits 1983 bei St. Gabriel in adäquater Übersetzung vor, war allerdings auch schon lange vergriffen.
Die neue Übertragung von Birgitta Kicherer steht dem in nichts nach. Endlich ist auch dieses Werk wieder auf Deutsch erhältlich. Interessanterweise wählte Arena abweichend von den anderen Bilderbüchern ein quadratisches Format statt der originalen 20 × 30 Zentimeter.
So ist es also plötzlich auf einen Schlag geschafft: alle vier Mumin-Bilderbücher von Tove Jansson sind wieder da, teils nach sehr langer Zeit. Sie machen wirklich großen Spaß, sind ordentlich gefertigt, kosten nicht viel, und ich kann nur von Herzen empfehlen, alle kleineren und größeren Kinder (und die es geblieben oder sonst irgendwie muminwürdig sind) spätestens zum Weihnachtsfest mit ihren Exemplaren versorgt zu haben, auf dass es der Muministik noch lange wohl gehe.
Gleichwohl scheint mir ein wenig die Angst, das es anders sein könnte, aus dem Ausmaß zu sprechen, in dem der Arena Verlag sich bemüht, die Bilderbücher auch äußerlich in die Form einer konsistenten Reihe zu gießen. Ich lobe, dass Tove Janssons originale Titelbilder verwendet werden – es ginge ja schlichtweg auch nicht anders (sollte man meinen, doch wenn man auf die völlig bescheuerten Tove-Jansson-Titelbilder beim Verlag Urachhaus schaut...)! Die Titeländerungen hingegen lassen bei mir Fragen offen; fast zwanghaft wurde überall noch »Die Mumins« vorangestellt, was spätestens im Knütt-Buch so gar nicht passt, da das Buch absichtlich ohne Mumins ist; und ein kleiner Mumintroll im Comic-Stil ist quasi zum »Markenlogo« gewählt worden – als solches stört er rein grafisch auf den stilistisch teilweise beträchtlich abweichenden Frontseiten der Bilderbücher. Bei diesen Maßnahmen stand wohl die Sorge um die Vermarktungsfähigkeit Pate.
Die Mumins. Mumin sucht die Kleine Mü
ISBN 978-3401711621
12,99 €
Die Mumins. Knütt findet einen Freund
ISBN 978-3401711638
12,99 €
Die Mumins. Die wundersame Reise ins Mumintal
ISBN 978-3401711645
12,99 €
Die Mumins. Überraschung im Muminhaus
ISBN 978-3401711652
9,99 €
Übersicht über die Mumin-Bilderbücher im Virtuellen Muminforschungszentrum:
http://www.zepe.de/mumin/mubi.php
Bis zum nächsten Mal grüßt
Zépé
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