Date: Tue, 20 Oct 2015 16:37:59 +0200
Liebe Trollartige und -unartige da draußen,
es ist mal wieder Zeit für einen muministischen Rundbrief, auch wenn der Wunsch, in den Winterschlaf zu gehen, sich so langsam meldet.
Der Stockholmer Geistliche Fredrik Hammarsten errichtete 64-jährig im Jahre 1910 auf der hauptstadtnahen Insel Blidö ein hölzernes, geräumiges Sommerhaus. Dort verbrachte er fortan die Sommerferien im Kreise seiner großen Familie, zu der schon wenige Jahre später auch die kleine Enkelin Tove Jansson gehörte. Häufig ist inzwischen darüber nachgedacht worden, wieviel frühkindliche Prägung sich in den Mumin- und anderen Büchern Tove Janssons findet – und speziell auf dieses Anwesen zurückgeht.
Nun, das Haus ist kein Turm, die Waldlichtung kein Tal, es gibt kein Flüsschen, und allzu deutungseifrigen »Literaturforschern« konnte Tove Jansson auch schon mal verhältnismäßig barsch antworten, dass auch mit Muscheln eingefasste Beete hier unbekannt waren! Andererseits haben wir das Buch »Die Tochter des Bildhauers« von 1968, in dessen fulminantem Eingangskapitel das Leben an genau diesem Ort geschildert wird: Das Wimmeln, die starken Erlebnisse, das Individuum im Spannungsfeld eigener und fremder Ansichten – und der Zugang zum Meer über einen Waldweg... Ich denke, dass viele, wenn nicht die meisten von uns (mindestens) einen »verzauberten Kindheitsort« in sich tragen, und dass die kindlichen und jugendlichen Erlebnisse Tove Janssons gerade an diesem Sommerfrische-Ort für einen empfindungsreichen Charakter wie den ihren von großem Einfluss waren, scheint mir außer Frage zu stehen. Sich selbst nun dorthin zu begeben, wäre für unsereinen allerdings völlig sinnlos... Welcher unserer Kindheitsorte ist noch so, wie wir ihn damals erlebt haben? Eben. Wir würden in der Villa Ängsmarn allerhöchstens finden, was wir selbst schon mitgebracht haben.
Das Haus ist bis heute im Besitz von Nachfahren. Dem Vernehmen nach ist es inzwischen ein wenig morsch geworden und entsprechend aufwändig im Unterhalt.
Ich schicke zwei Bilder mit: einmal die Großfamilie Hammarsten in alter Zeit (August 1913, vorne in der Mitte das frisch vermählte Ehepaar Jansson, Toves baldige Eltern) und eine Ansicht des Hauses aus heutiger Zeit.
Im nächsten Jahr wird die Stadt Helsinki eine ständige Anlaufstelle für Tove-Jansson-schauwillige Besucher bekommen.
Das »Helsinki Art Museum (HAM) Tennis Palace« ist ein nach längerer Sanierung vor wenigen Wochen wieder eröffnetes Gebäude, das 1940 zu bevorstehenden, dann aber kriegsbedingt verschobenen Olympischen Spielen als überdachte Autorennbahn errichtet worden war und später als »Tennis-Palast« bekannt wurde. Das Haus liegt sehr zentral, keine 10 Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt (Eteläinen Rautatiekatu 8).
Ab Januar 2016 soll der Bau eine ständige Tove-Jansson-Abteilung erhalten. Zu sehen sein werden vor allem die monumentalen Fresken »Fest auf dem Lande« und »Fest in der Stadt« von 1947, außerdem hört es sich so an, als ob weitere Gemälde und Skizzen (in gelegentlichem Wechsel?) gezeigt würden – wie viele, bleibt abzuwarten. Mumins soll es jedenfalls nicht geben; zu diesem Zwecke wird ans Mumintalmuseum in Tampere verwiesen, welches, wie schon berichtet, 2017 ein neues, dreimal größeres Domizil bekommt.
Deutschsprachige Quelle: http://www.dfg-portal.de/news.php?readmore=4496
Freunde des Fantasy-Urvaters J. R. R. Tolkien in aller Welt haben gute Chancen, nächstes Jahr Bekanntschaft mit Tove Janssons Zeichenstil zu machen, denn der »Official Tolkien Calendar 2016« bringt ihre »Hobbit«-Illustrationen von 1962:
Im Virtuellen Muminforschungszentrum sind diese Illustrationen seit langem ausgestellt.
Wenn erst einmal die zu erwartenden und ermüdenden Diskussionen darüber, dass die Größenverhältnisse bei der Romanfigur Gollum wohl recht unwahrscheinlich sind (Tove Jansson kannte das Nachfolgewerk »Der Herr der Ringe« nicht, und der Urtext des »Hobbits« von 1937, nach dem sie zeichnete, gibt keine Hinweise auf Gollums Art; auch Tolkien selbst machte sein Monster erst nachträglich zu einem quasi degenerierten Hobbit), abgeebbt sind, wird man wohl hoffentlich Toves meisterhafte Schwarzweiß-Technik und ihre Fähigkeit zur Einfühlung in die Fantasiewelt eines anderen Autoren zu schätzen wissen.
Helsinki bekommt ein neues Kinderkrankenhaus, Eröffnung soll im Laufe des Jahres 2017 sein. Man hat sich entschlossen, das Gebäude mit Bildern und Motiven aus den Muminbüchern zu gestalten. Die Krankenhausgesellschaft erhielt außerdem eine allgemeine und kostenfreie Lizenz zur Nutzung der Mumin-Geschichten bei der Betreuung der kleinen Patienten. In den Pressemitteilungen wird darauf verwiesen, dass die Erzählungen Tove Janssons eben nicht nur eine heile Welt vorspiegelten, sondern auch deutlich Themen wie Trauer, Tod, Verzeihen und Freundschaft aufgriffen und somit für den thematischen Rahmen eines Kinderkrankenhauses besonders gut geeignet seien. Wo sie Recht haben, haben sie Recht, möchte man da sagen.
Quelle:
Museums-Homepage: http://www.hamhelsinki.fi/
Offizieller Tolkien-Kalender 2016
http://middleearthnews.com/2015/07/05/tolkien-calendar-2016-features-artwork-from-artist-tove-jansson/ [nicht mehr vorhanden]
Neues Kinderkrankenhaus wird muministisch
http://www.hs.fi/kaupunki/a1443318330240
Stetig geht's voran. Im Sommer brachte Drawn & Quarterly im fernen, schönen Kanada den neuesten Band der englischsprachigen Gesamtausgabe der Mumin-Comics heraus. Enthalten sind vier Episoden, sämtlich von Toves Bruder Lars Jansson erdacht und gezeichnet:
Wie immer großer Lesespaß und dank moderner Vertriebskanäle auch nicht schwer zu besorgen. Wer auf eine deutschsprachige Version warten möchte: mit einem Versatz von nur wenigen Jahren möchte der Berliner Verlag Reprodukt Abhilfe schaffen; deren Verlagsprogramm hat inzwischen immerhin Band 7 erreicht.
Damit grüßt bis zum nächsten Mal
Zépé
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