Date: Fri, 25 Dec 2020 12:48:22 +0100
Liebe Rundbrief-Runde,
zum Jahreswechsel möchte ich dem typischerweise in dieser Zeit reichlicheren Essen eine etwas umfänglichere Abhandlung beigesellen. Danach kommt aber auch noch ein Fernseh-Tipp und etwas für Philatelisten.
Hier noch der gebetsmühlenartige Disclaimer: Vom Muministischen Rundbrief kann man sich unkompliziert per Zuruf abmelden; man darf mir aber auch neue Adressaten denunzieren ;-) Ich stelle mit den E-Mail-Adressen nichts weiter an.
Tove Jansson hat die meisten ihrer Bücher mit einer Widmung versehen. Zweck einer solchen ist bekanntlich das Zeigen von Verbundenheit und/oder Dank. Gleichzeitig gibt sie einem literarischen Werk eine »äußere Seite«, schärft seine Kontur und bettet es in (manchmal nicht leicht zu entschlüsselnde) Zusammenhänge ein; dabei ist ein gewisser autobiographischer Anklang praktisch unvermeidbar. Im Folgenden stelle ich Tove Janssons Widmungen in ihren Mumin- und Erwachsenenbüchern in chronologischer Reihenfolge dar; ob hieraus eine Lehre oder tiefere Erkenntnis über die Autorin folgt...? Auf jeden Fall ergibt sich – wie fast überall bei ihr – ein reizvoll uneinheitliches Gesamtbild.
a+b) War das erste Mumin-Buch »Mumins lange Reise« von 1945 noch ohne Widmung, schrieb Tove Jansson bereits ein Jahr später in die erste Fassung von »Komet im Mumintal« die Worte »für Peter«; gemeint ist ziemlich sicher der kurz zuvor geborene Sohn ihres Bruders Per Olov, also ein Säugling. In den späteren Fassungen des Buches (1956, 1968) verschwand dieser Eintrag allerdings wieder – ein einmaliger Vorgang in Toves Schaffen.
c+d) Sowohl das 3. als auch das 4. Muminbuch (»Eine drollige Gesellschaft« von 1948 und »Muminvaters wildbewegte Jugend« von 1950) blieben ebenfalls widmungslos; doch danach gab es kein Halten mehr.
e) Das Löcher-Bilderbuch von 1952 (»Mumin sucht die kleine Mü«) präsentiert sich als »Putte zugeeignet«, und hier wird die Geschichte interessant: Putte ist der originale Name vom in Skandinavien allbekannten »Hänschen im Blaubeerwald« von Elsa Beskow, welcher sich bekanntlich ebenfalls im Wald verläuft und dort Wundersames erlebt. Andererseits war »Putte« aber auch der Spitzname der Kunsthändlersgattin Ulla Fock, zu der Tove Jansson zu der Zeit häufigen und intensiven Kontakt hatte und die sie in einem Brief als sowohl »atemberaubend schön« als auch voller »gefährlicher, einsamer Gedanken« beschrieb. Diese Doppelbödigkeit ist sehr geschickt angelegt und findet in jenen Jahren der Selbst- und Identitätsfindung schlüssige biographische Entsprechung.
f) Das 1954 erschienene Buch »Sturm im Mumintal« ist »für Viveca Vivica« bezeichnet – gemeint ist die vormalige Affäre, dann Freundin und langjährige Theatermitstreiterin Vivica Bandler. Warum die Schreibung des Vornamens abgewandelt wurde, entzieht sich bislang meiner Kenntnis. [Nachtrag: Ausgerechnet mein Exemplar dieses Buches hat offenbar hier einen Druckfehler.]
g) Das Buch »Winter im Mumintal« von 1957, in welchem die Muminmutter bekanntlich schläft und ihrem Kind nicht zur Verfügung steht, so dass dieses selbstständig werden muss, trägt ausgerechnet die Widmung »für meine Mutter«!
h) Das 2. Bilderbuch (auf Deutsch derzeit »Knütt findet einen Freund« betitelt) erschien 1960 in der Endphase der inzwischen verhassten Mumin-Comics (sichtbar in den bunt-flächigen Illustrationen und der Abwesenheit von Mumins), und ist »Tuulikki gewidmet«, also der fünf Jahre zuvor gewonnenen endgültigen Lebensgefährtin.
i) Das Buch »Geschichten aus dem Mumintal« von 1963 trägt den Vermerk »für Sophia«, also die Tochter von Toves Bruder Lars, welche heutzutage die weltweiten Mumin-Geschäfte leitet, damals aber erst maximal 1 Jahr alt und damit das zweite bewidmete Baby war.
j) 1965 folgte das vorletzte Mumin-Buch »Mumins [wundersame] Inselabenteuer«. Entsprechend der hierin sehr stark thematisierten Vaterrolle lautet die Zueignung »für einen Vater«; dass der eigene, gestorben sieben Jahre zuvor, hauptsächlich gemeint sein muss, liegt anhand der Charakterzüge und inneren Konflikte des Muminvaters auf der Hand.
k) Drei Jahre danach, also 1968, begann der Umschwung in Tove Janssons literarischem Schaffen hin zur Erwachsenenliteratur durch das Erscheinen von »Die Tochter des Bildhauers«, welches ohne Widmung blieb. Als Grund hierfür wäre vorstellbar, dass die neue Werkkategorie selbstbewusst »auf eigenen Beinen« daherkommen sollte, zumal Tove selbst die Hauptperson in ihrem eigenen Buch ist. Dies habe ich freilich wenn auch nicht völlig geraten, so doch vor allem aus Tove Janssons stets zum Ausdruck gebrachten Autonomiebedürfnis hergeleitet; konkrete Äußerungen hierzu, bspw. in Briefen, haben bislang nicht meinen Weg gekreuzt.
l) Das letzte Muminbuch »Herbst im Mumintal« von 1970 ist dann wieder mit einer Widmung, diesmal »für meinen Bruder Lasse« versehen. Die große Verbundenheit dieser beiden Geschwister trug auch in diesem schwierigen Jahr, als die gemeinsame Mutter starb.
m) Bereits 1971 erschien die erste Kurzgeschichtensammlung »Die Zuhörerin« und wurde dem anderen Bruder Per Olov Jansson gewidmet. Ob hier mehr im Spiel war als das Bestreben, alsbald Gerechtigkeit herzustellen, kann nicht ohne weitere Informationen entschieden weden.
n) Das berühmte »Sommerbuch« von 1972 blieb ohne Widmung. Dass hier Nichte Sophia und Mutter Ham die Vorbilder der beiden Hauptpersonen sind und beide schon vorher eine Widmung hatten (1957 bzw. 1963), mag vordergründig als Ursache herhalten. Aber es handelt sich auch um ein derartig persönliches Werk, dass wahrscheinlich wirklich niemand anders besonders in den Schaffensprozess involviert war; und nur damit es überhaupt eine Widmung gibt – so schematisch dachte Tove Jansson nun auch wieder nicht.
o) Auch der 1973 erschienene Roman »Stadt der Sonne« hat keine Widmung. Die beiden Hauptquellen, aus denen sich das Buch speist, sind die große Weltreise mit Tuulikki in den beiden Jahren zuvor und das sich wie ein Leitmotiv durch Toves Schaffen ziehende Thema »Altern«. Der Schaffensprozess war offensichtlich sehr selbstbestimmt, so dass zu einer Widmung kein Anlass bestand. Dafür hat dieses Buch etwas ansonsten Einzigartiges, nämlich ein vorangestelltes Zitat als Motto.
p) Die widmungslose Phase endete 1977 mit der Herausgabe von »Die wundersame Reise ins Mumintal«, einem Mumin-Bilderbuch mit hohem malerischen Anteil. Die innere Titelseite sagt »für Malin und Mikael«, hierbei handelt es sich um Malin Beskow und Mikael Bauer – Freunde, die Tove Jansson ermutigten, dieses Buch zu Ende zu bringen.
q) Die Kurzgeschichtensammlung »Das Puppenhaus« von 1978 ist Pentti Eistola gewidmet, einem mit Tove und Tuulikki befreundeten Arzt, der stets der Dritte im Bunde war, als in den 1970ern das große Muminhaus, das man heute in Tampere bewundern kann, gebaut wurde. Dass es in der Titelgeschichte nicht unbedingt idyllisch zugeht, muss man dabei aber nicht für zu gewichtig nehmen.
r) Zwei Jahre darauf, 1980, diente das besagte selbst gebaute Muminhaus in einem Foto-Bilderbuch als Kulisse (deutsch derzeit »Überraschung im Muminhaus« betitelt). Sowohl der Mit-Erbauer Pentti Eistola als auch der Fotograf Per Olov Jansson hatten schon »Ihre« Widmungen erhalten (1978 bzw. 1971), aber es gab offenbar Anlass genug, den Band mit der Zueignung »für Saga«, also der Schwägerin, Per Olovs Frau, zu versehen – obwohl deren Verhältnis zu Tove nicht immer einfach gewesen sein soll.
s) Der packende Roman »Die ehrliche Betrügerin« von 1982 ist der langjährigen Freundin Maya Vanni gewidmet, der Frau von Toves »Jugendliebe« (1940er-Jahre!) Sam Vanni; sie hatte schon vorzeiten auf einigen Gemälden Toves als Modell fungiert.
t) Der noch nicht auf Deutsch erschienene kurze Roman »Stenåkern« von 1984 trägt eine Widmung an Åke Runnquist, Freund und Verleger in einer Person.
u) Die Kurzgeschichtensammlung »Reisen mit leichtem Gepäck« von 1987 ist der Lebensgefährtin Tuulikki Pietilä gewidmet, welche somit nach 1960 zum zweiten Mal Widmungsträgerin wurde – als einzige.
v) 1989 folgte der von Tove und Tuulikki handelnde Episodenroman »Fair Play«; jede Widmung an eine weitere Person wäre bei diesem Paarportrait sinnlos gewesen.
w+x) Ebenfalls ohne Dedikation blieben die Kurzgeschichtensammlung »Briefe von Klara« von 1991 und das keiner bekannten Form entsprechende Buch »Anteckningar från en ö« von 1996.
y) Das letzte Buch Tove Janssons, »Meddelande«, erschien 1998 und enthält acht neue und 23 bereits vorher gedruckte Kurzgeschichten. Widmungsträgerin war die »Arbeitskameradin« Helen Svensson, Literaturwissenschaftlerin und Verlegerin, die 2003 auch das Gedenkbuch »Resa med Tove« (»Reise mit Tove«) herausgab.
Bereits ins Deutsche übertragen, und zwar in der ZDF-Mediathek unter einer eigenen Rubrik:
https://www.zdf.de/kinder/mumintal
Jede der 26 Folgen dauert etwa 20 Minuten, und ich nutze die Feiertags- und Ferienzeit, mir jeden Tag eine anzusehen. Es ist sehr liebvoll gemacht, soviel kann ich sagen. Die Motive aus den Muminbüchern und -comics sind allerdings schon mit ziemlicher Freiheit neu kombiniert worden – faktisch werden hier i. d. R. völlig neue Geschichten in doch erheblich abweichenden Figurenkonstellationen erzählt. Aber wenn man das im Hinterkopf behält und die Serie nicht mit der literarischen Vorlage verwechselt (und so Äußerungen à la »Ich hab das im Fernsehen gesehen, die Bücher brauche ich dann ja nicht mehr zu lesen« entgegen treten kann), dann ist es sehr vergnüglich, auch und gerade wegen der modernen Anmutung.
Zum dritten Mal nach 2015 und 2018 wird die japanische Post im nächsten Jahr die Welt mit Mumin-Briefmarken erfreuen. Vorschauen im WWW sind noch eher selten zu finden. Hier ist meine bisherige Muminbriefmarkensammlung (welche im Wesentlichen komplett ist) online zu sehen:
http://www.zepe.de/mumin/vebr.php
Mit diesen Schlaglichtern aus dem Gebiet der Mumin- und Tove-Jansson-Forschung grüße ich für dieses Mal und wünsche allerseits einen frohen Jahreswechsel!
Zépé
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